(News 6/2023 - C)
Vor etwa einem Jahr wurde die 5. Edition der WHO-Klassifikation hämatologischer Neoplasien erstmals vorgestellt. Im Vergleich zur Vorgängerversion von 2016 haben sich hierbei verschiedene Neuerungen ergeben: neben reinen Nomenklaturänderungen wurden auch neue Krankheitsentitäten definiert bzw. bereits bekannte Entitäten neu klassifiziert.
Die WHO-Klassifikation 2022 setzt einen neuen Schwerpunkt auf die zyto- und molekulargenetischen Untersuchungsverfahren als Grundlage der Klassifikation hämatologischer Neoplasien, insbesondere bei den myeloischen Stammzellerkrankungen. Erstmalig wurden auch Vorstufen myeloischer Stammzellerkrankungen (molekulargenetischer Nachweis einer klonalen Hämatopoese mit oder ohne Vorliegen einer Zytopenie) in die Klassifikation mit aufgenommen. Insgesamt wird der Übergang zwischen „gutartigen“ Veränderungen, MDS und AML als fließend betrachtet.
So ist beispielsweise bei der Diagnose des MDS bzw. akuten myeloischen Leukämie (AML) nicht mehr allein das Ausmaß der Dysplasien oder der Blastenanteil (≥20%) entscheidend, sondern die Diagnose kann unabhängig davon, anhand des Vorliegens einer definierten genetischen Mutation gestellt werden.
Bei den lymphatischen Neoplasien, insbesondere bei den T- und NK-Zell-Neoplasien spielt die zyto- / und molekulargenetische Testung für die Klassifikation weiterhin keine oder nur eine untergeordnete Rolle. Hier erfolgt die Klassifikation primär histologisch sowie über den Immunphänotyp. Bei den reifzelligen B-Zell-Neoplasien hat die systematische Analyse genetischer Veränderungen teilweise zu einer Umgruppierung bzw. Neueinordnung bestimmter Krankheitsentitäten geführt. Charakteristische genetische Veränderungen können und sollten jetzt bei der Klassifikation einiger B-NHLs unterstützend herangezogen werden. Bei den B-lymphoblastischen (Vorläuferzell-) Leukämien / Lymphomen wurden den bereits in der 4. Edition der WHO-Klassifikation enthaltenen molekulargenetisch definierten Entitäten noch einige weitere hinzugefügt.
Das in den letzten Jahren vertieft gewonnene Wissen über zugrundeliegende genetische Veränderungen soll neben der präziseren Klassifikation bestimmter hämatologischer Erkrankungen auch den Einsatz zielgerichteter, auf spezifische Veränderungen abzielender Therapien ermöglichen und somit letztendlich zu einem besseren Outcome für die betroffenen Patient*innen führen. Da aber nur bei einem Teil der Patient*innen krankheitsdefinierende genetische Veränderungen nachgewiesen werden können oder atypische, teils sogar widersprüchliche Befundkonstellationen vorliegen können, ist für die Diagnostik hämatologischer Erkrankungen weiterhin ein integrativer Befund aus der Zytomorphologie, der Histologie, der Immunphänotypisierung und der Zyto- / Molekulargenetik unabdingbar.
Mittlerweile sind die Beta-Version des WHO-Buches online sowie Publikationen mit den wesentlichen Änderungen bei der Klassifikation lymphatischer und myeloischer Neoplasien verfügbar.